Steinernes Vermächtnis Siebenbürgens

Wie schaffte es im Jahre 1510 eine komplette Stadt, von der allgegenwärtigen Seuche verschont zu bleiben? Und was macht eine zweiwöchige Isolation aus einem Ehepaar, das sowieso kaum noch zu retten ist?

„Rumänien ist ein Land voller mittelalterlicher Schlösser, gotischer Kirchen und charmanter Städte, eingebettet in einer der rätselhaftesten Landschaften Osteuropas. Umrandet von geografischen Wundern – wie die Karpaten und das Schwarze Meer – erstrecken sich die legendären Wälder. Die schneebedeckten Gipfel breiten dem vielfältigen Folklore, der den jeweils unterschiedlichen Regionen entspringt, die perfekte Kulisse aus.“ CAITLIN MORTON, www.allaboutworldheritage.com

Kirchenturm in Talmesch (Siebenbürgen)

Zu Beginn, ein wenig Geschichte: Im 12. Jahrhundert gründeten Siedler deutschen Ursprungs, die heute als siebenbürgische Sachsen bekannt sind, Ortschaften im Bereich des heutigen Siebenbürgens. Sie ließen sich insbesondere in der Nähe der Stadt Sibiu nieder (zu Deutsch Hermannstadt). Bald wurde diese Stadt zum Verwaltungszentrum ihrer Region ernannt. Die Kirchen, die die Siedler, dessen Dialekt stark an das Luxemburgische und Süddeutsche erinnert, bauten, wurden bis zum 15. Jahrhundert als religiöse Kultstätten genutzt.

Doch als die Türken und die Tataren anfingen, die Bevölkerung zu überfallen, sahen sich die Siedler gezwungen, diese Bauten durch starke Außenmauern zu befestigen. Um die osmanischen Invasoren abzuwehren, verwandelten also die Siebenbürgen-Sachsen ihre Kirchen in Festungen.

Allmählich wurden diese zu starken Zitadellen umfunktioniert, die mit Schutzmauern, Aussichtstürmen und unterirdischen Tunneln ausgestattet waren. Es dauerte nicht lange bis sie mit den stärksten Militärkomplexen ihrer Zeit mithalten konnten. Heute sind die Wehrkirchen aus Siebenbürgen ein steinernes Symbol des Widerstandskampfes der Siebenbürgen-Sachsen und ein Beweis ihres Freiheitsdranges.

Siebenbürgen ist die Region die mit der höchsten Anzahl an befestigten mittelalterlichen Kirchen.

Zuallererst muss man betonen, dass es sich hierbei nicht um eine militärisch oder religiös motivierte Reise handelt. Ihr Zweck bleibt die Entspannung, aber sie kommt zusammen mit einer Bereicherung aller Sinne, die im legendären Siebenbürgen wie von selbst gelingt. Direktflüge verbinden Westeuropa mit Städten wie Cluj, Sibiu, Oradea oder Timișoara. Somit steht einer Blitzreise nichts im Wege.

Alle 150 Kirchenfestungen, die sich von den insgesamt 300 gut erhalten haben, kann und soll man nicht auf einmal besichtigen. Siebenbürgen ist nun mal die Region die mit der höchsten Anzahl an befestigten Kirchen aus dem 13. und 16. Jahrhundert. Weltweit!

Besser ist es, wenn man sich für eine beliebige Route entscheidet und das Land nach Lust und Laune im Auto, Motorrad oder sogar Fahrrad zurücklegt. Man kann aber auch eine vorbereitete Tour buchen. Die Auswahl ist groß, und Deutsch ist in Siebenbürgen nicht wirklich eine „Fremdsprache“.

Siebenbürger in lokaler Tracht

Die Reisebedingungen sind sehr wohl dem europäischen Standard angepasst und oft werden die Erwartungen der Touristen sogar übertroffen. Manch unscheinbare Herberge überrascht durch ausgesprochen hohe Qualität und freundlichen Empfang. Die Gastfreundlichkeit der Rumänen ist längst kein Geheimnis mehr.

Schon vor der Landung, gleich beim Anblick des wunderschönen Plateaus, das sich zu Füssen streckt, ahnt man, dass es sich hier um ein wahres Naturjuwel handelt. Aus der Vogelperspektive sieht man die begehrten, wildesten Wälder Europas, denen Transsilvanien seinen Namen verdankt (trans silva, bedeutet auf Lateinisch „hinter den Wäldern“). Umgeben von den hohen Zinnen der Karpaten, gleicht Siebenbürgen einer einzigen riesigen Festung. 

Dieses Land wurde schon immer hoch begehrt und umkämpft. Insbesondere die Invasoren des Osmanischen Reiches versuchten im Laufe der Jahrhunderte, immer wieder vergeblich, Transsilvanien einzunehmen. Ihr Plan, hier eine Art Eingangstor nach Westeuropa durchzustechen, ging nie auf, denn die zivile Bevölkerung stellte sich ihnen entschlossen im Weg. Diese verbarrikadierte sich in den Wehrkirchen und leistete Widerstand. Nach dem Rückzug der Barbaren errichteten die ausgeplünderten Sachsen unermüdlich aufs Neue ihre Häuser und Höfe. Nie ließen sie sich nicht durch die wiederholten Verwüstungen einschüchtern.

„trans silva“ bedeutet auf Lateinisch „hinter den Wäldern“

Aus diesem Kampf ist eine äußerst zähe und bodenständige Volksgruppe hervorgegangen. Sie prägte diese Region 800 Jahre lang, bis sie nach dem Auflösen des Eisernen Vorhangs, in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, in fast geschlossenen Reihen nach Deutschland ging. Auch hier sah man, dass Ruhe und Disziplin Eigenschaften sind, in denen sich die siebenbürgischen Sachsen hervortun. Leider bedeutet ihr Rückzug für viele auch eine derbe Entwurzelung. Doch darüber sprechen wir vielleicht ein andermal…

Hausspruch an talmescher Lehrerhausfassade

Kehren wir zurück zu den eindrucksvollen Bauten, die eigentlich der Grund unserer Reise sind. Als echte Juwelen sind sie bekannt geworden, und das nicht nur im architektonischen Sinne. Insbesondere die immateriellen Werte, die sie repräsentieren, die Geschichte, die sie ausstrahlen, und das technische Wissen, das bei ihrem Bau angewendet wurde, flössen Respekt ein. Kein Wunder dass seit 1999 sieben Siebenbürgische Kirchenburgdörfer (gleich zweimal Sieben!) dem UNESCO-Weltkulturerbe angehören.

Hermannstadt ist die einzige Stadt, die von der Pest im Jahre 1510 verschont blieb.

Die Regeln, nach denen das Leben der Dorfgemeinschaften in diesen Bastionen während der manchmal jahrelangen Belagerung ungestört weiterging, sind einzigartig und gelten als wertvolles Kulturerbe. Nichts zuletzt verdanken wir dem Widerstand der Siebenbürgen-Sachsen gegen die östlichen Invasionen unsere heutige Christentums-Entwicklung im westlichen Europa.

Innerhalb der Mauern ging das Leben weiter. Die Familien wurden auf Nachbarschaften aufgeteilt – es entstand eine Art Miniviertel die Schule und der Gottesdienst setzten ihre übliche Tätigkeit fort. Die während der Friedenszeiten gelagerten Vorräte sicherten das Überleben der gesamten Dorfgemeinschaft innerhalb der Mauern. In der gemeinsamen „Kammer“ der Kirche hatte jede Familie ihren eigenen Platz und niemand bediente sich jemals vom Eigentum anderer (die Strafen im Falle eventueller Verstöße waren unglaublich hart!).

Die Effizienz der Selbstisolation ging so weit, dass sogar die Pest die Siebenbürgen-Sachsen umging. Hermannstadt ging als einzige Wunderstadt in die Geschichte ein, die während der schrecklichen Seuche aus dem Jahre 1510 keine einzige Kontamination aufwies.

Jede einzelne Wehrkirche hat ihre eigene Geschichte und verdient einen Besuch. Daher habe ich nur eine Handvoll davon als Beispiel ausgesucht. Man nehme:

– Das wertvollste Juwel der „Krone“ der siebenbürgischen Festungskirchen, den Bischofssitz von Birthälm (rumänisch Biertan).

Im Unterschied zu den anderen Wehranlagen, die nach und nach befestigt wurden, war diese von Anfang als solche geplant. Dieses Bauwerk sieht man schon aus der Ferne, dank ihrer beträchtlichen Dimensionen und der geschickt gewählten, erhöhten Lage. Auf einem markanten Hügel befinden sich drei konzentrischen Mauerreihen, sechs Verteidigungstürmen und zwei Bastionen, die drei Hauptverwaltungsgebäude bewachen. Das Bistum dominiert die ganze Umgebung. Eine technische Kuriosität der ersten Stunde weist sie auch noch auf: Alle 19 Schlösser der Festung kann man mit einem und demselben Schlüssel entriegeln! Damals eine Sensation!

Doch die größte Faszination des Bischofssitzes von Birthälm geht von einer völlig anderen Kuriosität aus: Es ist der Turm des „Ehegefängnisses“. Darin sperrte man Paare ein, die sich scheiden lassen wollten. Deren „Gefängnisprobezeit“ dauerte genau zwei Wochen. Zur Verfügung hatten sie nur ein Bett, einen Tisch, einen Teller und ein Satz Besteck (es ist nicht überliefert, ob ihnen auch das Messer ausgehändigt wurde, vermutlich nicht). Angeblich blieb im Laufe des 400 Jahre langen Geschichte des Einsetzens dieser Maßnahme ein einziges Ehepaar fest entschlossen sich zu trennen, nachdem die grausame Isolation überstanden war.

  • Andere Kirche, andere Legende: Die Zitadelle von Frauendorf (rumänisch Axente Sever) ist über 700 Jahre alt und besitzt einen altertümlichen Charme, der selbst mit dem der Alhambra gut mithalten könnte. Das dazugehörende Museum für traditionelle sächsische Alltagsgegenstände versetzt den Besucher in der Atmosphäre und Kultur der fast verschwundenen deutschen Minderheit des heutigen Rumäniens. Eine spannende Gelegenheit, den Atem der Geschichte auf eigener Haut zu spüren, bietet die Übernachtung in einem der speziell für Besucher eingerichteten Fremdenzimmer der Anlage (ungefährer Preis, laut Internet: 10 € / Nacht).
Falls es dem Wachmann nicht gelang, die anrückenden Feinde aus der Ferne zu entdecken um rechtzeitig Alarm zu schlagen, bestrafte man ihn schlicht und einfach indem man ihn aus dem Turm in die Tiefe hinabstieß.
  • Die Kirche der Stadt Mediasch hingegen (rumänisch Mediaș) befindet sich inmitten einer charmanten Sammlung mittelalterlicher Häuser, die den Passanten durch die kleinen Luken ihrer Dächer, mit aufmerksamem Blicken zu beobachten scheinen. Sie umgeben den mit bunten Kacheln bedeckten Glockenturm, der hoch hinaus in den Himmel ragt. Der Legende nach hatten seine Bauherren vor, ihn höher als den berühmten Stephansdom aus Wien zu errichten. Doch Gott verpasste ihnen prompt eine Lektion, als sich der Turm im Verlauf ihrer Arbeit zu neigen begann. Also ließen sie ihn „nur“ 70 Meter hoch werden. Genug um dem Späher, der darin wachte zu erlauben, ankommende Feinde schon aus großer Entfernung auszumachen. Falls ihm das nicht gelang, schob man ihn einfach aus dem Fenster hinaus. Wie gesagt, die Strafen waren damals, nicht glimpflich. In diesem Zusammenhang noch kurz nebenbei bemerkt: auch Fürst Vlad Țepeș (bekannt als Dracula) wurde einmal in diesem Turm eingesperrt.
An jeder einzelnen Tür steht heute noch die entsprechende Nummer des dazugehörigen Hauses aus dem Dorf.
  • Unweit von der über 300.000 Einwohnerstadt Kronstadt (rumänisch Brașov) befinden sich die Wehrkirchen von Honigsberg (rumänisch Hărman) und Tartlau (rumänisch Prejmer). Dank ihrer 12 Meter hohen Mauern überstand die Honigsberger Kirche nicht weniger als 5 Seuchen, 4 Überschwemmungen und 2 Brände und gilt bis heute als uneinnehmbar. Die aus Tartlau hingegen ist dafür bekannt, dass sie die größte im Südosteuropa ist. Ihre Verteidigungsmauern erreichen eine Dicke von 5 Metern und die Wassergräben, die Kettenbrücken, die 5 Verteidigungstürme, die Todesgraben und der geheime unterirdische Tunnel sie eine Eroberung komplett unmöglich. In ihrem Inneren befinden sich 272 gut erhaltene Räume, die in Friedenszeiten als Vorratslager, respektive als Quartier für die Dorfbewohner im Falle einer Belagerung zur Verfügung standen. An jeder einzelnen Tür steht heute noch die entsprechende Nummer des dazugehörigen Hauses aus dem Dorf. Der Schlüssel dieser Türen wurde in der Familie, von Vater zu Sohn weitergegeben. Mit ihrem beträchtlichen Fassungsvermögen von 1600 Personen, kann diese Festung heute noch der ganzen Dorfgemeinde im Fall der Fälle Schutz gewähren.

            Das waren nur wenige Beispiele. Noch kann man sich da als „Fast-Entdecker“ fühlen, denn Anziehungskraft der siebenbürgischen Wehrkirchen ist noch in Begriff sich zu entfalten. Kein einziger Besucher, der sie sah, konnte ihrem Charme entgehen. Ihr Anblick, eingebettet in einer atemberaubenden Landschaft, bleibt unvergesslich.

Urlaub in Rumänien: Auf den Spuren der Kirchenfestungen und Burgdörfern – Reisebericht von Gabriela Sonnenberg (erschienen in: Costa Blanca Nachrichten Nr. 1940, 19. Februar 2021)

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