Gedanken in Rot

Lesenotizen zum Lyrikband „Rot roșu“
Autorin Cristel Ungar, Übersetzerin Beatrice Ungar
erschienen im Honterus Verlag, Hermannstadt, 2016
ISBN: 978-606-8573-51-9

Wenn man als Prosaautorin beim Lesen von Lyrik erwischt wird, wirkt es ein bisschen so als ob man etwas nicht ganz Legales getan hätte. Doch was soll man tun? Die Neugier über Alles was geschrieben wird gehört irgendwie auch zum Metier des Schriftstellers. Außerdem hat man es schwer wenn man versucht, Poesie von Prosa strikt zu trennen, denn es gibt seit eh und je sowohl prosaische Gedichte wie auch poetische Prosa. Ja, darin leben und baden wir geradezu Tag für Tag!
Trotzdem zuckte ich erschrocken als mich neulich im Flugzeug, während eines Fluges von Spanien nach Rumänien, die junge Frau die neben mir saß, spontan ansprach, um sich über meine Reiselektüre zu äußern.

„May, das ist aber schöööön!“, kam es aus ihrem knallrot geschminkten Mund.

Sie zeigte auf ein Gedicht in meinem ebenso roten Büchlein, welches ich als Reiselektüre mitgenommen hatte.

„Wissen sie, normalerweise lese ich keine Gedichte, dafür hätte ich keine Zeit, denn ich bin als Buchhalterin und Mutter ziemlich beschäftigt“, fügte sie fast ohne zwischenzuatmen bei.

„Nein, nein, du musst dich doch nicht entschuldigen“, erwiderte ich hocherfreut. „Das ist sehr schön, wenn es dir gefällt.“

„Dies ist mein Favorit“, sagte sie und deutete auf den Titel Zuhören hin. „Wobei das andere, ein Paar Seiten zurück, wo der Schatten um die Ecke geht, auch sehr schön ist“.
«Aha», dachte ich mir, «sie hat also wirklich mehr als nur eine Seite mitgelesen. Ganz so ungezwungen. Hm…»

Nun ja, Geschmack hatte sie damit bewiesen, denn auch mir gefielen just diese zwei Gedichte ausgesprochen viel. Ich dachte, das sei Alles gewesen und wollte mich weiter meiner Lektüre zuwenden, doch die Dame ließ nicht locker.

„Würden Sie bitte für mich die deutsche Fassung einmal laut vorlesen?“, bat sie mich. „Ich kann nämlich nur Rumänisch und Spanisch, aber der Klang der deutschen Sprache tät mich schon interessieren…“

Tja, ehrlich gestanden ist Vorlesen nicht meine Lieblingsdisziplin, doch bei diesen kullernden Augen wurde ich irgendwie weich. Ich las ihr das Gedicht so gut wie ich konnte vor – Gott sei gelobt, es war recht übersichtlich – und dann klatschte nicht nur sie, sondern auch die nächste Dame aus unserer Reihe ganz begeistert Beifall.

Soviel zu meinem etwas gezwungenen Beitrag zur Verbreitung moderner Kunst! Jedoch spüre ich Genugtuung wenn ich daran zurückdenke, denn die Autorin des zweisprachigen Gedichtbandes „Rot roșu“, Christel Ungar, trifft offensichtlich mit ihrer wunderbaren Poesie nicht nur mich genau ins Herzen. Welch besseren Beweis als diese verbindende Freude, die spontan zwischen so verschiedene Menschen entsteht, kann man sich denn wünschen? Sie besitzt eindeutig die Gabe, Brücken aus Worte zwischen uns zu bauen!

Ein paar Tage später war ich zu Gast im Hause eines Pfarrers und Prosautors, den ich besonders schätze. Als Geschenk überreichte ich ihm ein Gedichtband. Plötzlich kam es mir gar nicht mehr so undenkbar vor, einem Romanautor ein Lyrikbuch zu schenken.

Er war hell erfreut, dass es sich um Poesie handelte und gestand, dass er immer eine kurze aber tiefsinnige Lyrik-Lektüre einem langen, schweren Roman vorziehe (und das besonders wenn es sich um langatmige Werke wie seine eigenen Bestseller handele).

Ich habe mein rotes Büchlein immer noch sehr gern. So gern, dass ich es sogar weiterempfohlen habe. Und so kam es dass ein belgischer Poet aus Spanien, der sich seit Jahren einer Initiative zur weltweiten Verbreitung guter moderner Poesie widmet, zwei Gedichte aus Christel Ungars´ Werk als „Gedicht der Woche“ auswählte. Zuzüglich der rumänischen Fassung, die von der Schwester der Autorin, Frau Beatrice Ungar stammt, ließ er die Gedichte in achtzehn weitere Sprachen übersetzen und schickte diese auf telematischem Wege um die Welt herum.

Nun lesen Tausende von Lyrik-Liebhaber, allesamt durch einen unsichtbaren roten Faden verbunden, diese zwei Gedichte und lernen den Schatten „der sich so sehr bemüht hatte/im Vorbeigleiten/Spuren zu hinterlassen“ kennen. Aus der ursprünglich zweisprachigen Brücke wurde ein weltumspannendes Netz.

So, das war mein erster Streich und ich hoffe dass der nächste nicht lange auf sich warten lassen wird, wenn uns das Schwesternpaar Ungar weiterhin mit solch schönen Deutsch-Rumänischen Gedichten verwöhnen wird.

Mit herzlichem Dank,
aus Spanien,
im Januar 2018

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