Heimatreise nach Siebenbürgen
Motto:
Von Zeit zu Zeit dieses längliche Pochen
so traurig, so klagend, so schwer.
Mein Flügelschlag setzt sich dem Tode zur Wehr
ich packe die Feder und nutze sie als Speer.
Theodor Damian (rumänischer Dichter und Theologe, lebt in den USA)
Verse aus dem Band „ISAR´s Zeichen”
In die Heimat
Bei der Rückreise wird mir bewusst, dass ich wieder mal zu Hause war. Doch es scheint als wäre ich gar nicht dort gewesen. Omas ewiger Abschiedsvorwurf verfolgt mich in Gedanken: „jetzt gehst Du wieder, und wir haben über gar nichts gesprochen”. Merkwürdig ist nur wie trocken sich mein Mund nach so viel „Nichtreden” anfühlt. Tatsächlich behalte ich keine einzige Erinnerung an irgendeinen tiefgründigen Meinungsaustausch. Warum bin ich dann plötzlich so müde?
Befremdlich wirkt jede Reise in die Heimat auf mich, nachdem ich das Ganze von vornherein eigentlich ganz anders, bunt und emotionsgeladen erwartet hatte! Anstatt sprudelnder Geistesblitze im Rahmen inspirierender Gespräche, vergeudeten wir die knappe Zeit mit kleinen Alltagsritualen, „Tischlein-Deck-Dich” oder Geschirrspülen. Wer überhaupt einen Meinungsaustausch wagte, wurde als arroganter Kritiker abgestempelt, Besserwessi eben. Doch man will nicht tatenlos zusehen, wie das Elternhaus, im sturen Widerstand gegen jegliche Modernisierung, alt werdend, langsam versinkt.
Nicht besser erging es den Eltern, die verzweifelt versuchten, alte Leidenschaften im Herzen ihres Kindes wiederzubeleben. Lächerlich diese kitschige Volksmusik, oder die kleinen Erfolge des Provinzfussbalteams!
Anschliessend prallen wir alle aufeinander, scheitern an der Mauer unseres eigenen Gähnens, oder verdrücken Tränen der Wut. Alle verletzt, nur Verlierer! Aus Leibeskräften mit Entgegenkommen bemüht, weiss man im Grunde, dass alles Versäumte nicht innerhalb kürzester Zeit nachzuholen ist. Eine Unmöglichkeit, ganz klar. Ob vielleicht doch, rein zufällig, der neutrale Boden der goldenen Mitte im Gespräch auftaucht? Gelingt meistens nicht. Denn nur wenige Menschen verfügen über die unglaubliche Offenheit meiner fast hundert Jahre alten Oma, die sich nicht davor scheut, unter festem Augenkontakt, mich eindringlich zu fragen: „Bist Du glücklich?”… Dann tue ich so als ob draussen etwas Dringendes auf mich wartet und fahre einkaufen.
Ab diesem Punkt taucht beim einen oder anderen der Gedanke der Abreise auf; heimlich freue ich mich über die Rückkehr in das traute Leben daheim. Manch Mutiger bringt es sogar fertig, die ganze Konfusion in Worte zu fassen: „Ich freue mich ja immer zweimal auf Euren Besuch…”
An jeder Ecke lauert die Angst, ja nicht zu verletzen; und so bleiben Offenbarungen auf der Strecke, nur weil man bloß nicht wie ein Elefant im Porzellanladen wirken möchte. Die Zeit läuft davon, der Urlaub ist wieder mal kurz. Wie immer, viel zu kurz. Oder doch besser so?
Vom Flugzeug aus streife ich mit missmutigen Blicken die zurückgebliebene alpine Landschaft unter meinen Füssen. Schon spüre ich Reue, wegen des kurzen Streits mit meiner Mutter. Worum ging es diesmal?! Der wahre Grund ist vermutlich noch nichtmal ausgesprochen worden. Doch bald blüht ein Lächeln um meine Lippen: ich errinnere mich an das Eingreifen meines friedenstiftenden Vaters. Schelmisch setzte er sich durch, wieder einmal mühelos, als er das Urteil des „Unparteiischen” ankündigte: „Wir haben es hier mit einem typischen Charakterunterschied zu tun. Einigen wir uns doch auf „uneinig.”
Bin ich mit meinen Änderungswünschen zu weit gegangen, oder war ich am Ende doch zu feige, indem ich mich mit kaum angedeuteten Bemerkungen begnügte und bloß an der Oberfläche kratzte?
Doch ich hatte Glück. Unsere Seelen haben sich doch berührt, wahrscheinlich unter völlig banalen Umständen. Zum Beispiel als wir uns oberflächlich über diese Lapalie unterhielten, die steigenden Benzinpreise. Der unsichtbare Austausch emotionalen Fluiduums bahnte sich spontan den Weg. Es passierte nicht dank unserer verzweifelten Mühe, sondern eben der zum Trotz, senkrecht zum Gesprächsthema, gegen den Strom.
Oft genügt ein unsichtbarer Funken, um geliebte Gespächspartner wie offene Bücher innerlich leuchten zu lassen. Plötzlich stellt man fest: „ich kenne diesen Menschen besser als mich selbst”. Um unser Herz herum wird es ganz warm. Auf das banale Thema erwidern wir ganz automatisch irgend etwas („auch das Gas ist teuer, zum Kuckuck nochmal!”) und wenden unseren Kopf zur Seite, um den plötzlichen Zärtlichkeitsanfall nicht durchzulassen. Mit Sicherheit „liest” uns die geliebte Person genauso schnell; unsere tränenden Augen werden ihr nicht entgehen. Doch wahre Freunde hacken nicht nach; man überläßt uns das Gefühl, wir hätten uns unter Kontrolle.
So und nicht anders gestalten sich die wahrhaft rührenden Augenblicke des Wiederfindens mit unseren Lieben, die kostbaren Erinnerungen, die wir meistens unbewusst in unseren Speichern bewahren, um sie in schweren Zeiten immer wieder abzurufen und daraus Kraft zu schöpfen. Keine kinoreifen Freudenssprünge, keine theatralischen Umarmungen, kein ewiger Treueschwur!
Mit dem Ende beginnend, sobald man sich wieder auf dem Rückweg macht, starten im Kopf die endlosen inneren Gespräche, imaginäre Konversationen mit all den Leuten, die bei uns wären, wenn sie halt nicht so weit weg blieben. Das Kopfkino, welches bis zum nächsten Wiedersehen reichen muss, nährt unseren Alltag mit imaginären Zeilen, mit Gesprächen die es niemals gegeben hat. Oft meinen wir genau zu wissen, welch brillianten Kommentar unser unsichtbarer Gegenüber just in diesem Augenblick aussprechen würde. Doch in Wirklichkeit, wäre die gemeinte Person anwesend, hätte sie mit Sicherheit ganz anderes im Kopf, nicht einen geistreichen Einfall. Irgend ein nichtssagender Umstand würde uns alle mal wieder daran hindern, rhetorisch zu brillieren.
Wie dem auch sei, allein der Glaube an eine derart perfekte Kommunikation spendet Trost. Man meint dann zu wissen, daß unser alltäglicher Energieaufwand bloß ein Spiel in einer unwirklichen Rolle ist, denn – ist es denn nicht so? – unsere echte Geschichte spielt sich hinter den Kulissen ab, ausschliesslich vor den Augen enger Vertrauter. Nur sie wissen, wie die Feinheiten unserer Seele genau zu deuten sind, nur sie können das empfindliche Zittern unseres inneren „Schmetterlingsflügels” spüren, nur sie verstehen alles. Ja, sie verstehen sogar die Dinge, die wir selbst nicht ganz so genau an uns begreifen.
Kein Gefühl ist so schön wie die Sehnsucht. Darunter kann man nur Positives erwarten und es enttäuscht einen nie, solange man fern der Möglichkeit bleibt, sich im wahren Leben mit dem Grund der Sehnsucht auseinander zu setzen.
Seit E-mail Erfindung lockt die Illusion des Näherrückens immer stärker. Geschriebene Worte gehen leicht von der Hand, es ist einfacher sie zu schreiben, als sie auszusprechen. Unser Gesprächspartner kann beim besten Willen nicht mehr erkennen ob wir ihm etwas verschweigen, denn das Zittern der Stimmen wird nicht vom Computer übertragen.
Schriftliche Nachrichten können beliebig geschliffen werden. Paradox ist nur, dass ausgerechnet dieses gefühllose Gerät mit Tasten unsere tiefsten Eindrücke zum Vorschein bringt, auch solche die wir nicht so gern aussprechen möchten. Wen wundert es noch, dass ein Liter Hewlett Packard Druckertinte teurer ist als ein Liter Chanel No. 5?
Schön sind sie alle, unsere Worte, doch am kostbarsten sind die, die wir nicht auszusprechen wagen, die sich wie ein teueres Parfüm schnell verflüchtigen. Schön wie ein Augenblick der Inspiration, in Begleitung eines vertrauten Menschen. Einer der uns so nahe steht, dass wir fast bis ans Limit mit ihm gehen könnten: zu zweit mit ihm zu schweigen.