Eingetütet

tütenAn einem jener Abende, an denen mein Mann aus dem Haus ist und ich ganz alleine über die Fernbedienung herrschen darf, entschied ich mich bewusst nicht wieder für eine meiner sonderbaren Kosmetikanwendungen (vielleicht eine Gurkenmaske?), und auch nicht für das Kochen eines ungewöhnlichen Abendmahls (Knoblauch gefällig?), sondern packte meinen ganzen Mut zusammen und widmete mich dem Sortieren der Plastiktüten, die sich in unserer Vorratskammer gefährlich angehäuft hatten. Der Sack, der voller zusammengeknüllter Tüten von einem Haken an der Wand herunter hing, ließ kaum noch zu, dass die Tür bis zum Anschlag aufging.

Seitdem wir gelernt haben, dass Kunststoff die Umwelt belastet, tendieren wir dazu, ihn zu horten. Manch eine Tüte ist sowieso zu schade zum wegwerfen. Doch wohin damit?

Was habe ich nicht schon alles versucht? Unseren Besuchern aus Deutschland gab ich welche mit, damit sie ihnen ein zweites Leben auf Flohmärkten ermöglicht wird. Die Namen unserer spanischen Supermärkte kommen dort gut an. Es sind sowieso viele Spanier nach Deutschland zum Arbeiten gegangen. Warum ihnen nicht auch die Tüten hinterher schicken?

Persönlich habe ich jahrzehntelang Verpackungen für alles Mögliche hin und her getragen, zwischen Elternhaus und Orten an denen ich jeweils lebte. Einmachgläser mit Leckereien, Flaschen mit Sirup, Wein oder Schnaps, Tüten mit heimischem Gemüse, Kartons mit Eiern von glücklichen Hühnern und vieles mehr. Einzige Bedingung, damals wie heute, ist das Zurückbringen dieser Behälter.

Mein Sammeltick macht nicht einmal vor den Landesgrenzen halt. Bestimmte Flaschen, Gläser oder eben Einkaufstaschen sind auch im Ausland – ja, speziell im Ausland! – einfach zu schön, um weggeworfen zu werden. Vatis´ hochprozentige „Zwetschgenmedizin“ oder Muttis´ Marmelade machen sich darin ganz besonders gut. Sollte irgendwann ein neugieriger Zollbeamter einen Blick auf den Inhalt meines Koffers werfen wollen, ist nicht auszuschließen, dass er auf ein paar schicke Schraubgläser oder Kauftaschen stößt. Da frage ich mich ernsthaft, wozu wir noch ausgewandert sind, wenn das Banale unseres Lebens, hier oder dort, sich immer noch nicht verändert hat!

Vor dreißig Jahren, als es in Rumänien nur selten etwas Brauchbares zu kaufen gab – wie zum Beispiel die allgemein geächtete Sojasalami – trug ich immer einen sorgfältig zusammengefalteten Stoffbeutel in meiner Tasche. Die sogenannte FAF („Für-Alle-Fälle-Tasche”) war aus Stoff, weil es damals kaum Kunststoff gab. Heute halte ich immer noch eine Tasche parat. Auch diese ist aus Stoff, natürlich, denn Plastik gilt als Umweltsünde, obwohl es eigentlich in entsprechenden Containern vorschriftsmäßig entsorgt wird. Gelegentlich kaufe ich Sojasalami. Nicht aus Nostalgiegründen, sondern weil sie als gesunde Nahrung eingestuft wird. Also, um es kurz zusammenzufassen: Plastik – früher Hui, heute Pfui; Soja – früher Pfui, heute Hui. Mal so, dann so! Ob etwas gut oder schlecht ist entscheiden wir selbst. Die Qual der Wahl verfolgt uns stets.

Doch nicht über den Sinn des Lebens wollte ich schreiben, sondern über meine Plastiktüten-Geschichte. Die geht so:

Tüten

Foto: NABU/S. Hennigs

An diesem erwähnten Abend sortierte ich den Inhalt meiner Tütensammlung nach Machart. Zuerst ein paar Stapel nach Herkunft. Vor ein paar Haufen von unterschiedlicher Höhe rätselte ich über meine Kaufgewohnheiten. Nach Spontaneinkaufen sah das auf jeden Fall nicht aus! Auf einen Gang zum gut sortierten, internationalen Supermarkt kamen zehn Besuche beim deutschen Discounter, beziehungsweise sieben Einkäufe beim spanischen Großhändler. Dayu noch alle zwei Wochen bekomme ein Ausflug zum englischen Lebensmittelmarkt. Zumindest kann man nicht behaupten, dass ich beim Ankurbeln der Wirtschaft nationalistisch handle! Nun erzähle mir bitte niemand, ich sei ein freier Mensch, der nach Lust und Laune seine Kartoffeln und Zwiebeln mal da und mal dort kauft! Das stimmt so nicht!

Doch nicht die Supermarktüten bereiten mir die größten Sorgen, denn als quadratisch zusammengefaltete Tüten konnte ich sie schnell in einer Ecke verbannen. Die wahre Herausforderung bestand aus meinen Modenladentaschen!

Meistens sind diese hübsch dekoriert, haben ordentliche Henkel und bestehen oft aus stabilem Karton, was ihre Lagerung deutlich aufwändiger macht. Natürlich könnte man sie schlicht und einfach zusammendrücken und in einem Papiercontainer deponieren! Aber würde dann nicht gleich auch ein Teil der Erinnerungen an tolle Shoppingtouren mit in den Müll wandern?

Langsam glich mein Angeln nach Tüten immer mehr einer Losziehung. Was da zum Vorschein kam war meine greifbar gewordene Vergangenheit; Leben in Kunststoff gegossen – ein Material, das angeblich fast unverwüstlich sein soll. Und das sollte ich wegwerfen? Um die Traurigkeit des Moments zu lindern, nahm ich mir ein Glas Rotwein, setzte mich erst einmal hin und überlegte. Wie gesagt, es gibt Entscheidungen, die man nur einmal treffen kann…

Somit entschied ich mich, die größte und schönste meiner Tüten – die, in der einst mein Brautkleid gesteckt hatte, (was denn sonst?) – als Gesamtbehälter zu behalten. Wichtiges Ereignis, wichtiges Kleid, wichtige Tragetasche.! Alle drei sollten gerne noch standhaft bleiben. Ich nahm mir vor, nur die Menge an Tüten zu behalten, die da rein passten.

Schweren Herzens trennte ich mich von einigen schönen Sackerln, aus Österreich, die mir mehrfach als Reisebeutel für Unterwäsche, Socken oder Schuhe treu gedient hatten (also, unter uns, in Sachen „schöne Tüten“ ist Österreich, meiner Meinung nach, ein wahrer Vorreiter).

Nie hätte ich geglaubt, dass ich mich nach so langer Zeit an jeden einzelnen Fall erinnern konnte, welche Tüten zu welchem Kauf gehört hatten. Zum Beispiel die, in der ich den kleinen Rucksack nach Hause gebracht hatte, den ich inzwischen schon fast 4 Jahre trage. Oder die andere, die mit den fünf Badekleidungen zu uns ins Haus kam (selbstverständlich sind Bikinis ein verbreiteter Bestandteil der Damengarderobe an der Costa Blanca).

Ich stieß auf eine Plastiktasche mit Doppelwänden, die ich einst repariert und wieder zusammengenäht hatte. Es war die erste und einzige Isoliertasche für Tiefkühlprodukte, die ich in meiner finsteren, sozialistischen Heimat jemals besaß. Damals wusste ich nicht einmal, wozu sie gut war. Doch ich mochte den silbernen Glanz so sehr!

Genauso ist es mir vor Jahren mit dem Fetzen Frischhaltefolie ergangen, den mir eine Tante die Freunde im Westen hatte einst schenkte. Ich glaube, dieses Stück Klarsichtwunder hatte ich monatelang immer wieder gespült, getrocknet und wiederverwendet.

Tupperware

Die Gegenstände aus Kunststoff haben unser Leben verändert. Ich frage mich ob wir die Zeit die wir durch die Nutzung der modernen Alltagshilfen sparen auch wirklich dazu einsetzen, um unseren Geist zu erweitern. Und ob wir durch den umweltbewussten Umgang mit unserem Abfall automatisch auch selbst erträglicher für unser Umfeld werden? Doch, wie ich befürchte, beeinflussen diese Äußerlichkeiten, die so verführerisch glänzen, wohl kaum unseren inneren Frieden.

Gegen 21:00 Uhr wurde mir klar, dass meine Aufgabe viel zeitaufwändiger und kraftraubender war als gedacht. Während meine Hände die mechanischen Bewegungen des Faltens und Zusammenlegens vollbrachten, beschäftigte sich mein Kopf mit komplizierten Rechenaufgaben. Ich addierte die Länge der einzelnen Operationen, um auf die Gesamtzeit zu kommen und um zu schätzen, wie lange ich diese monotone Tätigkeit noch ausüben musste.

Am Ende meiner Mühen, nachdem die Brautkleidtasche endlich am Nagel hinter der Tür hing, schleppte ich mich müde ins Bett. Aus dem Augenwinkel sah ich gerade noch das leuchtende Farbdisplay unseres Weckers. Es zeigte 00:00 Uhr an. Es war Zeit für einen Neuanfang.


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