Äpfel und Kalaschnikows
(Satirische Beobachtungen)
Eingeschüchtert von allen Seiten, zwischen Osten und Westen zusammengedrückt, von großen und noch größeren Mächten bedrängt, kommt man sich heutzutage fast schuldig vor, wenn man nicht unter die Revolutionäre geht. Schließlich gibt es im Internet so viele Listen und Petitionen, die es zu unterschreiben gilt! Dazu noch diese Menge an Ungerechtigkeiten, die auf der Welt passieren. Was soll man dazu sagen? Einfach daneben stehen und tatenlos zuschauen wäre schlicht und einfach verantwortungslos. Oder nicht?
Doch der Trend zum aktiven Protest ist so mächtig geworden, dass sich sogar ein paar findige Geschäftsleute zusammengefunden haben, die im Internet die ultimative „Revolutionärschürze“ vertreiben. Laut einer spanischen Zeitschrift enthält dieses „Kit de manifestante“ (auf englisch „Super protest belt“) eine Gasmaske, Klebeband, Erste-Hilfe-Tasche, aber auch einen Schnurrbart zum aufkleben, falls man sich unerkannt wegschleichen möchte, Zitronenwasser als Gegenmittel bei Pfeffersprayattacken und vieles mehr. Ähnlich wie eine Handwerkerschürze bietet dieses Accessoire das Notwendigste für den Ernstfall, sollte man während eines Protestes plötzlich „Not am Mann“ erleben.
Aufstand will geübt werden! Warum also nicht gleich, zeitgemäß, das entsprechende Werkzeug direkt im Internet bestellen? Auch wenn man mit etwas weniger auskommen muss als ein professionell ausgestatteter Soldat oder Polizist, ein Überlebensset kann nie schaden. Das Motto dieser Initiative ist SUPER TOOLS FOR HOPE.
An sich ist die Idee nicht schlecht. Abstoßend ist nur der Gedanke, dass jemand mit dem Sicherheitsbedürfnis hilfloser Menschen Profit machen will. Es kommt aber auch auf den Preis an. Vielleicht sind das doch nur ehrliche Helfer, die den Selbsthilfegürtel zum Lieferpreis weiterverkaufen. Auf jeden Fall, es ist nichts neues, denn berufliche Revolutionäre hat es schon immer gegeben.
Darüber zu urteilen wäre dreist. Niemand will den ersten Stein werfen, denn was Recht und Unrecht ist weiß man in Zeiten der Flüchtlingswelle sowieso nicht mehr so genau. Auf der einen Seite sammelt und verschenkt man an die Heimatlosen alles was man entbehren kann, auf der anderen Seite verspürt man glatte Panik vor einem möglichen Überrollen durch die Walze der Sharia.
Auch der Flüchtling ist eine Art Revolutionär und auch er wird schon am Grenzübergang mit einer Art „Überlebensset“ in Empfang genommen. Doch was tut man wenn das nicht so gut ankommt wie man es gemeint hat? Was ist, wenn diese Masse an bedürftigen Menschen mit uns dasselbe macht wie die windigen Geschäftsleute, die die „Überlebensschürze“ erfunden haben: unseren selbstlosen Elan und unsere Existenzängste ausnutzen und sich dadurch Vorteile verschaffen? Abwarten, sehen … nachsehen?
Im Fernsehen läuft ein Rückblick des letzten Jahres. Da sieht man lange Menschenschlangen, die sich vor den europäischen Grenzen stauen. Darunter ein kleines Mädchen, in einem rosa T-Shirt, mit einem beliebten Katzenmotiv bedruckt. „Hello Kitty“ steht darauf. Ein freiwilliger Helfer reicht ihr einen Apfel. Schüchtern nimmt das Kind das Stück Obst entgegen.
Danach sieht man das russische Oberhaupt auf Staatsbesuch in Ägypten. Er überreicht dem Gastgeber sein Geschenk: eine Kalaschnikow. Der ägyptische Außenminister nimmt es dankend entgegen.
Es folgt ein Bericht über die geglückte Beendung einer Raumfahrtmission. Etwas taumelnd steigt ein Kosmonaut aus der Kapsel. Jemand drückt ihm einen Apfel in die Hand. Sein Blick ist dankbar. Man kann sich denken wie sehr sich der Astronaut im All nach einem echten, frischen Apfel gesehnt hat, denn dort oben wachsen ja bekanntlich keine Bäume. Ob man vorsichtshalber ins Weltall Waffen mitnimmt, nur so, für alle Fälle? Denkbar wär´s. Meine Annahme ist natürlich… ohne Gewähr.
Wir machen den Fernseher aus und schauen uns Urlaubsfotos aus Amerika an. Auf einem Bild sieht man das Schaufenster eines Waffenhändlers aus Texas. Zwischen zwei stattlichen Gewehren, die dem Terminator jederzeit große Freude bereiten könnten, liegt, auf einem rosa Kissen, weich gebettet, ein kleines, lila Kindergewehr. Das ist kein Spielzeug, auch wenn es auf den ersten Blick danach aussieht. Mit diesem kleinen Ding können amerikanische Mädchen das Schießen üben, und schon im zarten Alter, echte Lebewesen, zur Not auch Menschen, glatt umlegen. Auf dem reichlich verzierten Schacht der Waffe steht die leerklingende Begrüßung in unserer undurchschaubaren Welt: „Hello Kitty“.
Für so eine automatische Waffe ist kein Platz im „Demonstrantengürtel“, aber für einen Apfel wäre da immer noch eine Seitentasche frei. Der legendäre Zankapfel kann aber auch anders:
er kann sich in ein SUPER TOOL FOR HOPE umwandeln.
Spanien, Mai 2016